Projektlaufzeit: 01. Januar 2017 – 15. Dezember 2017
Projektleitung: Kerstin Dickhoff, Koordinatorin NTI
Förderer: Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung
Projektbeschreibung
"Ich wünschte, die Erinnerung an die geflüchteten und vertriebenen Menschen von damals könnte unser Verständnis für geflüchtete und vertriebene Menschen von heute vertiefen. (...) Auf eine ganz existenzielle Weise gehören sie nämlich zusammen - die Schicksale von damals und die Schicksale von heute"
Joachim Gauck
Diesen Gedanken von Joachim Gauck wollen wir in unserem dokumentarischen Theaterprojekt „Wir kamen aus dem Nichts. Kriegskinder erzählen. Flucht und Vertreibung gestern und heute.“ aufgreifen und in einem künstlerischen Prozess weiter verfolgen. Unser Thema sind die Heimatlosen von gestern, heute und morgen, „der Handwagen von einst“ und „das auf dem Mittelmeer treibende Boot von heute“.
Die aktuellen Flüchtlingszahlen sind gering im Vergleich zur Nachkriegszeit: damals suchten zwölfeinhalb Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in den vier Besatzungszonen Deutschlands Zuflucht. Die Vertriebenen wurden als "Polacken" und "Zigeuner" angefeindet. Sie kamen aus dem Osten und es hat ja nun jahrelang NS-Propaganda gegeben mit dem Hinweis darauf, alles, was aus dem Osten kommt, ist schlecht und schwierig.
Eine Willkommenskultur? Damals völlig unbekannt. Ende der Vierzigerjahre, kursierte im Emsland der Spruch von den drei großen Übeln: "Wildschweine, Kartoffelkäfer und Flüchtlinge". Dies erinnert an die Parolen der Pegida Anhänger, die gegen Flüchtlingsheime protestieren. Hass und Ausrufezeichen scheinen zusammen zu gehören. Der bayerische Bauernfunktionär Jakob Fischbacher meinte 1947: "Die Preußen, dieses Zeugs, und die Flüchtlinge müssen hinausgeworfen werden, und die Bauern müssen dabei tatkräftig mithelfen. Am besten schickt man die Preußen gleich nach Sibirien."
Es kamen nicht nur sogenannte Reichsdeutsche aus Ostpreußen, Schlesien oder Pommern, sondern auch Deutsche von der russischen Wolga, aus dem Baltikum, aus Böhmen oder Rumänien, Donauschwaben aus Jugoslawien. Das war eine Mischung von Menschen, die das Schicksal des Heimatverlusts und eine Affinität zur deutschen Sprache und Kultur teilten. Trotzdem waren sie aufgrund von Bräuchen und der konfessionellen Zugehörigkeit sehr unterschiedlich. Dadurch veränderten sich wesentlich die bestehenden sozialen Strukturen in Deutschland. "Wenn zum Beispiel zahlreiche katholische Schlesier ins protestantische Norddeutschland kamen, erschü tterten sie die alten konfessionellen Strukturen. Dadurch ist Deutschland massiv durcheinander geraten.“ meint Andreas Kossert (Die Zeit).
Die katastrophale wirtschaftliche Lage nach dem Zweiten Weltkrieg, Mangel an Wohnraum, Mangel an Nahrung, Mangel an Arbeitsmöglichkeiten, die Zerstörung großer Teile Europas verstärkten die Ablehnung, welche die Flüchtlinge und Vertriebenen erfuhren. Gegenseitige Vorurteile gegenüber Fremden spielten keine geringe Rolle. Selbst Konrad Adenauer meinte 1946, es müsse darauf geachtet werden, dass die Vertriebenen nicht den preußischen Geist in die rheinische Jugend pflanzten. In Meinungsumfragen äußerten viele Vertriebene, die eingesessene Bevölkerung sähe sie nicht als Deutsche an, sondern halte sie für Menschen geringeren Wertes, für Fremde oder Unheil bringende Bettler. Die ursprüngliche Skepsis schlug in dem Maße in Ablehnung um, als sich abzeichnete, dass es sich bei den Flüchtlingen und Vertriebenen nicht um Gäste, sondern Dauerbewohner handeln würde.
Bei der Volkszählung 1950 betrug der Anteil der Flüchtlinge und Vertriebenen an der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik 16,5 Prozent. Das entsprach etwa acht Millionen Menschen. Bis 1961, der letzten Volkszählung, bei der nach dem Flüchtlings- und Vertriebenenstatus gefragt wurde, lag der Anteil der Flüchtlinge und Vertriebenen bei 21,5 Prozent. Aber auch 70 Jahre nach Kriegsende ist die Geschichte der Flucht in Folge von Kriegen noch nicht zu Ende erzählt. Abertausende Flüchtlinge aus Syrien, Irak, Libyen oder Somalia versuchen dem Elend in ihren Heimatländern zu entfliehen. Heute berichten davon Massenmedien, damals waren die Kommunikationskanäle weitgehend zerstört, so dass die geringsten wussten, dass sich plötzlich solche Massen auf den Weg gemacht haben.
Die Angst vor Konkurrenz und Überfremdung ist wieder da: Wird Deutschland buchstäblich überrannt? Droht eine Katastrophe? Schafft sich Deutschland ab? Alte Vorurteile werden durch neue, die skeptisch dem Islam gegenüber stehen, ersetzt.
Natürlich, ist nun die wirtschaftliche und soziale Lage in Europa eine andere. Es gibt auch eine Willkommenskultur in Deutschland, auf die man stolz sein kann. Die Gesellschaft ist eher polarisiert.
Die Fragen, die für uns dabei in dem Mittelpunkt stehen, sind der Alltag dieser Menschen, die Fluchtursachen, ihre Erfahrungen in der neuen Heimat, ihre Flucht. Der Schwerpunkt liegt auf den Erfahrungen von Menschen, die vor dem Krieg und Terror fliehen. Dabei interessieren uns die Verbindungslinien zwischen den deutschen Flüchtlingen vor sieben Jahrzehnten und den heutigen Flüchtlingen, die über das Mittelmeer oder auf dem Landweg in die EU kommen. Was ist bei denen, die heute kommen, anders als bei denen, die vor 70 Jahren in Deutschland ankamen? Was ist ähnlich?
Wie ist es in einem fremden Land anzukommen und von vorne anfangen zu müssen?
Das Theaterstück soll 2017 im gesamten Landkreis MOL und darüber hinaus aufgeführt werden. Die Aufführungen werden von einem Begleitprogramm mit Publikumsgesprächen, Patenschaft - Vertriebene von damals oder ihre Familienangehörige übernehmen die Patenschaft für Vertriebene von heute, Unterstützung bei Vor- und Nachbereitung des Vorstellungsbesuches
Künstlerisches Team
Neben den Jugendlichen Geflüchteten, den Zeitzeugen aus dem Landkreis MOL konnte mit Hilfe unseres Kooperationspartners multicultural city aus Berlin, interessante und anerkannte Künstler für das Projekt gewonnen werden. So zum Beispiel
- Johanna Pfau, die mit führenden deutschen Staats- und Stadttheaters arbeitet,
- den jungen und trotzdem international bekannten Komponisten Adam Baldych,
- die Graphikerin Irina Poloubessov und
- die international tätige Berliner Regisseurin Monika Dobrowlanska (www.multiculturalcity.eu).
Dies ist eine gute Voraussetzung für die künstlerische Qualität des Projektes und um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu gewinnen.
Träger des Projektes ist der KKJR MOL e.V..
Kooperationspartner sind
- das Theaterkollektiv multicultural city, Berlin,
- die Clearingstelle Seelow,
- Haus Birkenweg – Heimatstube Letschin,
- Verein für Heimatgeschichte der Stadt Müncheberg,
- Willkommensverein Neuhardenberg e.V.,
- Vereins „My Life-erzählte Zeitgeschichte“ e.V.,
- Landtagsabgeordnete Simona Koß, Bildungspolitische Sprecherin der SPD sowie
- das Netzwerk für Toleranz und Integration in MOL.